Nach der nun schon einige Tage andauernden Aufregung rund um die DIN SPEC 91253:2012-03 (im Klarnamen: "Einführung und Management von Web 2.0 und Sozialen Medien in KMU") habe ich mir heute das Dokument mal beim Beuth-Verlag gekauft, um der Sache für mich persönlich auf den Grund zu gehen.
Und mein Fazit ist: Kein Grund zur Aufregung und schon gar keiner zur pauschalen Ablehnung. Der Reflex, die Normierung einer zur erfahrungs- und empathiegetriebenen Kunst erhobenen Marketingleistung abzulehnen, liegt zwar nahe - nicht zuletzt wegen der üblichen Eitelkeiten und handfester finanzieller Interessen. Aber selbst die professionellsten der Professionellen müssen in diesem Dokument keine Gefahr für ihre Pfürnde sehen.
Nicht weil es schlecht wäre, sondern einfach weil es nützlich aber harmlos ist. Das zeigt schon das Inhaltsverzeichnis, das ich hier einmal zitieren möchte (und hoffentlich darf):
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Vorwort
Einleitung
1 Anwendungsbereich
2 Begriffe
3 Chancen, Risiken und Voraussetzungen des Einsatzes von Web 2.0 und Sozialen
Medien in KMU
4 KMU-spezifisches Vorgehensmodell zur Einführung von Web 2.0 und Sozialen Medien
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Sensibilisierung
4.3 Analyse
4.4 Strategieentwicklung
4.5 Konzeption
4.6 Implementierung
4.7 Nutzung
4.8 Controlling
Anhang A (informativ)
Checklisten & Leitfäden
Kenntnisstand
Weiterführende Literatur
Web-Aktivitäten
Voraussetzungen
Leitfaden Gesprächsaufkommen
Leitfaden Hindernisse
Roadmap wiederkehrende Termine
Kostenpositionen
Feinkonzept
Feedbackbogen Nutzer
Leitfaden Ombudsmann
Hilfsmittel/Tools
Anhang B (informativ)
Fallbeispiele: Fachverlag Unternehmensseite in einem Sozialen Netzwerk; Entwicklung einer Strategie für Einsatz Sozialer Medien in einem mittelständischen B2B-Unternehmen
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Wie sich - denke ich - schnell erschließt, ist dieses Dokument eine Mischung aus kurzer Einführung ins Thema (1. Semester) und grundsolidem Leitfaden für Social Media Projektmanagement.
Auch die folgende Grafik, die ich uns noch gönne, unterstützt diesen Eindruck
Ein Phasenmodell kombiniert mit Entscheidungsbaum unterstreicht den Charakter einer prozessgetriebenen Handlungsanleitung für hausinterne Projekte.
Bei der Lektüre der kompletten Norm beschleicht einen vielleicht manchmal das Gefühl, dass "KMU" im Unversum der Autoren ein Synonym für Ahnungslosigkeit ist. So gleicht z.B. der Fragebogen zur Ermittlung des Kenntnisstandes der Projketbeteiligten ("In 2009 wurden je Tag knapp 1 Milliarde Videos angesehen. In 2010 stieg diese Zahl ungefähr um wie viel Prozent an?") eher einer Art Cyberspace-Einbürgerungstest. Auch fremdle ich hier und da mit der Terminologie (der "Ombudsmann" als Bindeglied zwischen Nutzer und Plattform wirkt etwas altfränkisch).
Aber das sind eher Schönheitsfehler. Die Autoren geben sich stets Mühe, alle wichtigen Aspekte zu bedi(e)nen, selbst kulturelle Voraussetzungen. So auch in der Checkliste zur (kulturellen) Selbsteinschätzung:
- Ist das Offenlegen von Entscheidungen/Entscheidungsprozessen erwünscht?
- Ist ein Dialog mit Kunden/Mitarbeitern im Rahmen der Produkterstellung oder bei Entscheidungssituationen erwünscht?
- Soll anstatt eines autokratischen Führungsstils eine partizipative, offene Unternehmenskultur etabliert werden?
- Sind Dialoge mit Mitarbeitern/Kunden erwünscht und ist bekannt, dass dafür Zeitfenster bereitgestellt werden müssen?
- Können Führungskräfte Kritik auf fachlicher Ebene annehmen und konstruktiv für Verbesserungen nutzen?
- Stehen ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen für die Etablierung einer offeneren Unternehmens- kultur zur Verfügung?
- Erfährt das Vorhaben Zustimmung und Unterstützung durch die Geschäftsführung?
- Erfährt das Vorhaben Zustimmung und Unterstützung durch die Mitarbeiter?
- Ist das Unternehmen bereit, Erfahrungswissen, Spezialwissen und Innovationsfähigkeit zu paaren?
Viel anderes findet sich auf den Slides der meisten Profi-Berater auch nicht. Klingt nur meistens englischer und ist wahlweise mit einem Regelkreis oder lizenzfreien ganzseitigen Bildern gekoppelt.
Deshalb bleibe ich bei meinem Spontanfazit auf Twitter und Google+: Die Norm wird die Akzeptanz des Thema steigern, die Auseinandersetzung mit dem Thema auch bei den bisher Ahnungslosen professionalisieren und den Profis dabei helfen, nicht stets bei den Basics anfangen zu müssen.
Dabei ist sie aber sicher - wie Marco Dick so schon sagt - kein "Ersatz für das Know-how erfahrener Kommunikations-Berater".
Aus welchen Gründen auch immer: Es gibt Grund zum Auf- und Duchatmen.