Sascha Lobos Text zur digitalen Kränkung des Menschen beruht auf einer Reihe von Fehleinschätzungen, insbesondere aber auf einer grundsätzlich falschen Wahrnehmung des zentralen Subjektes seiner Ausführungen. Anders gesagt: er versteht das Internet nicht mehr.
Sascha Lobos deprimiertes Fazit ("Internet kaputt") ist nur deshalb möglich, weil er das Netz auf seine Funktion als interpersonalen und interorganisationalen Kommunikationskanal für vertrauliche und demnach schützenswerte Daten reduziert. Er vergisst dabei völlig, dass es eine der zentralen (und für mich sogar DIE zentrale) Aufgaben des Internets ist, Öffentlichkeit herzustellen, Meinungen eine Stimme zu geben und mit offenem Visier zu streiten. Was kratzt es TED, wenn die NSA ihre Videos speichert? Was juckt es den Nerd im Chip-Forum, wenn die Briten sein Apple-Bashing archivieren? Und warum sollte es mich beunruhigen, wenn sich der Agent eines befreundeten Dienstes über mein schlechtes Englisch in einer Slideshare-Präsentation mokiert? Wir alle, die Macher von TED, die Nerds und ich, wir wollen Aufmerksamkeit, Dialog und Öffentlichkeit. Auch Das DAX Unternehmen mit seiner Crowdsourcing-Plattform und die Partei im Online-Wahlkampf, alle wollen wahrgenommen werden.
Natürlich wollen wir nicht, dass man unsere privaten Emails liest, unsere strategischen Innovationen vor der Marktreife dem Wettbewerb zuspielt oder registriert, wie oft wir MILF-Videos auf Pornhub suchen. Das unselige, wirtschaftsschädliche und bürgerrechtsverletzende Wirken von NSA und Konsorten ist besser heute als morgen zu unterbinden. Aber die Arbeit dieser Agenten zerstört nicht unser Netz!
Die kulturschaffende und wertschöpfende Kraft des Internets entsteht in der Öffentlichkeit, durch seine grundsätzliche Zugänglichkeit und die Befähigung von Bürgern und Organisationen zum wahrnehmbaren Dialog.
Dieser revolutionären Kraft kann ein Geheimdienst nichts anhaben. Was nicht geheim sein soll, kann nicht enthüllt werden, was bekannt ist, taugt nicht als Waffe, was wahrgenommen werden soll, kann nicht beschämen. Deshalb ist die NSA schädlich, schädigend sogar, aber sie hat nicht die Kraft, unsere Utopie zu zerstören. Denn sie entwickelt sich dort, wo sich Agenten nicht hintrauen: im Licht der Öffentlichkeit.
Es erstaunt mich, dass Sascha Lobo das nicht sieht, dass er sich einreiht in die Panikschlange vor dem Bunker. Er kann all das nicht wirklich vergessen haben.
Ich schreibe LOBOtomie, aber ich hoffe auf Amnesie - denn die ist reversibel.