Ich habe keine Ahnung, ob Stephen King irgendwo als Berater für Storytelling und Content Marketing engagiert ist. Schön wär's, sicher auch gut. Er ist ohne Zweifel der Meister des "sticky content". 400 Millionen Bücher können zumindest in dieser Hinsicht nicht lügen.
Aber ich sollte ohnehin völlig anders anfangen.
Ich bin kein ausgebildeter Kommunikationsberater. Ich habe keinerlei Ausbildung in irgendwas mit Medien oder Kommunikation. Ich habe überhaupt keinen berufsqualifizierenden Abschluss. Ich bin vielmehr Magister Artium der iberoromanischen und vergleichenden Literaturwissenschaft. Was nichts anderes bedeutet, als dass ich 7 Jahre meines Lebens wechselweise mit Lesen und Geld verdienen verbrachte, bevor ich mich selbständig gemacht habe. Das hilft mir heute dabei, 30 Tweets in der Minute zu verarbeiten. Und dabei, eine gute Story zu erkennen, wenn ich sie sehe.
Wie eben den am 3. Juni veröffentlichten neuen Roman "Mr. Mercedes". Kurze Zusammenfassung aus dem King Wiki:
"Bill Hodges, ein pensionierter Polizist, wird von den wenigen ungelösten Fällen seiner Karriere verfolgt, insbesondere von einem: Ein verrückter Mercedes-Fahrer war in eine Schlange vor einer Jobbörse wartender Leute gerast und hatte acht Menschen getötet, fünfzehn verwundet. Monate später erhält Hodges ein Bekennerschreiben eines gewissen Brady Hartsfield und die Ankündigung, dass er seine Tat so genossen habe, dass er wieder töten wolle – diesmal jedoch in großem Stil. Hodges kehrt in den Dienst zurück und versucht in einem Wettlauf gegen die Zeit, den Killer mit einer Handvoll schräger Vögel, die er seine Freunde nennt, noch rechtzeitig aufzuhalten."
Ich bin in diesem Buch - nach eine kurzen KaffeeKindlePause um 16 Uhr - gerade erst auf Seite 30, aber ich weiß, ich werde es heute Nacht zu Ende lesen. Und da ich als Unternehmer auf Transferleistungen von privat zu beruflich angewiesen bin, weiß ich auch, dass ich von diesen ersten dreißig Seiten schon jetzt mehr für meine nächste Content Marketing Kampagne gelernt habe, als von den letzten 12 Infografiken. Mr. King beherrscht nämlich die Kunst, die für das Content Marketing eine der wichtigsten ist: er fängt den Leser ein, und hält ihn bei der Stange, unter Strom, gefangen bis zum (meist bitteren) Ende. Er beherrscht, was ich den "Zen of Stickiness" nenne - durch seine crowdfähigen Inhalte, aber vor allem durch einige einfache, handwerkliche Taktiken, die ich mir jetzt als Regeln für die perfekte Kampagne an die Pinnwand nageln werde.
1) Sorge für aktuellen Kontext
Wir wissen schon auf Seite 2, dass es sich um ein - für Stephen King - hochaktuelles Buch handelt, um die Ausläufer von Wirtschafts- und Immobilienkrise in den USA, um wachsende Armut und Prekariat. Und das hilft uns, in dieses Buch zu schlüpfen wie in einen Handschuh. Wir wissen, wovon er redet, haben davon gelesen und gehört oder es mit ein bisschen Pech selbst erlebt. Genau das bringt im Content Marketing die Kombination aus perfekter Persona- und Pain-Point Analyse zusammen mit konstantem Social Listening. Erst wenn wir wissen, was unsere Zielgruppe bewegt, können wir erfolgreich sein.
2) Sei menschlich, allzumenschlich
Stephen King erhebt sich nie über seine Figuren. er nimmt sie an, wie sie sind, mit Good Cop Eigenschaften und Bad Cop Attributen. Sie sind - wie seine Leser - genauso wenig immer sympathisch, wie die Kunden, die wir finden wollen. Es gibt eine Menge Gründe, den Helden Bill Hodges nicht zu mögen. Er nimmt ihn dennoch an und ernst, er beschreibt seine guten und seine schlechten Seiten, aber er urteilt nicht. Er beschreibt einen Menschen. Und genau diese Haltung sollten wir unseren Zielgruppen gegenüber haben. Gutes Content Marketing schleimt sich nicht ein, vermeidet aber auch streberhafte Besserwisserei. Wir suchen nach Menschen mit Bedürfnissen und wollen diese erfüllen, auf Augenhöhe, mit Engagement und ohne vorschnelle Urteile.
3) Wecke die Neugier
Stephen King ist der Meister der Hinweise und Cliffhanger. Ich weiß schon auf Seite zwei, dass jemand sterben wird, eine Seite später, dass jemand seinen Arm verliert. Aber ich weiß verdammt noch einmal nicht, warum und wodurch. Und das will ich wissen. Also lese ich weiter. Und ist nicht genau das die Kunst, die wir brauchen, um unsere Personas durch den Sales Funnel zu ziehen? Wir sollten da mehr zu bieten zu haben als "Und morgen in Teil drei ...". Neugier wecken und aufrecht erhalten muss Teil des Konzeptes sein, das gesamte Stück sich erst im Premium Content erschließen, für den es mit Daten zu zahlen gilt.
4) Sei besonders
Große Teile dessen, was heute als Content Marketing publiziert wird ist ästhetisch und inhaltlich arg stromlinienförmig, getemplated und auf schnellen Konsum hin optimiert. Die Anzahl der Tipps ist immer eine Primzahl oder 10, das Bild ist immer smartphone-authentisch, die Struktur des Textes immer vorhersehbar. Mich fängt das meiste davon an zu langweilen. Es ist, wie es in Mr. Mercedes heisst, "more on the vacant side". Das ist beim Meister anders. Ich weiss immer, dass etwas passiert, aber niemals wirklich was. Es gibt den Mut zur kreativen Lücke genauso wie den Hang zum besonderen Detail. Wer außer Stephen King hätte die Chuzpe, überfahrene Menschen in einem Schlafsack in eine Assoziationskette mit etwas marmeladegefülltem zu bringen. Das bleibt im Gedächtnis. Und genau danach sollten auch Contentmarketer suchen, nach dem besonderen, stimulierenden Detail, dem besonderen Wort, der besonderen Form, dem Bruch mit der Erwartungshaltung. Es mag ein paar Leser kosten, aber die übrig bleiben werden das nicht so schnell vergessen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie sich an iberoromanisch, KaffeeKindlePause und Chuzpe erinnern werden, wenn auch nicht unbedingt ungestützt ;)
Das war's schon, was ich sagen wollte. Für mehr bleibt auch echt keine Zeit. Ich muss wissen, wie Mr. Mercedes ausgeht.