Digitale Transformation begleiten: Digital Responsibility Reporting

Close up of businessman holding digital globe in palm

Wenn wir die Beschleunigung der Digitale Transformation positiv gestalten wollen, müssen Unternehmen mehr Verantwortung zeigen. Ein Corporate Digital Responsibility Bericht wäre ein wichtiger erster Schritt dazu und kann verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. (Publiziert am, 15.8.2019, editiert und aktualisiert am 29.4.2020)

Die digitale Transformation hat lange vor COVID-19 ihre Unschuld verloren. Vorbei sind für alle verantwortungsbewussten Menschen die Zeiten, in denen sie die Digitalisierung aller Lebensbereiche einfordern und sich dabei immer und in jedem Fall auf der Seite des Guten, Wahren und Schönen wähnen konnten. Die Utopie einer vernetzten und verbindenden Welt, die all unsere Probleme löst und uns zugleich zu besseren oder zumindest glücklicheren Menschen macht, hat das Potenzial, sich zu einer Dystopie mit orwellschen Zügen zu entwickeln.

  • Der Cambridge Analytica Skandal hat deutlich gemacht, wie einfach es ist, ganze Demokratien durch digitale Techniken zu manipulieren. (Für weitere Hintergrundinformationen empfehle ich die Netflix Dokumentation „The Great Hack“, https://www.youtube.com/watch?v=iX8GxLP1FHo)
  • Es steht mittlerweile außer Frage, dass unsere digitalen Devices das Potenzial haben, unsere körperliche und geistige Gesundheit zu stören. Aus Experimenten wissen wir, dass allein die Präsenz eines Smartphones die geistige Kapazität von Menschen reduziert (https://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/691462). Selbst im Silicon Valley sind deshalb Initiativen entstanden, die mehr Verantwortungsbewusstsein der Hersteller fordern. Ein Blick auf die Website des „Center for Humane Technology“ ist sehr aufschlussreich: https://humanetech.com
  • Und auch zum Klimawandel trägt die bisher weitestgehend ungebremste Digitalisierung maßgeblich bei. Bis 2025 könnte der digitale Anteil an den weltweiten CO2 Emissionen bis auf 8% steigen und damit den von Autos und Motorrädern überholen.

Wir müssen die Hoheit zurückgewinnen

Zugleich ist klar, dass es kaum einen Weg zurück mehr gibt und dass es sogar fahrlässig wäre, die enormen Chancen digitaler Technologien nicht zu nutzen. Die COVID-19-Krise zeigt deutlich, was möglich und was nötig ist. Die Vorteile des Digitalen – im Home-Office, in der Medizin, im Verkehr und in der Bildung – sind unbestreitbar. Aber es wird Zeit, dass wir beginnen, die älteren und die akuten Entwicklungen nicht einfach hinzunehmen und als „alternativlos“ oder „unvermeidbar“  zu betrachten. Ein solches Denken wäre genauso wenig akzeptabel, wie die Ausbeutung von Menschen und die Zerstörung unserer Umwelt als zwangsläufiges Ergebnis der industriellen Revolution hinzunehmen. Es gilt – wieder einmal – dem menschlichen Hang zur ungebremsten Entwicklung entgegenzutreten und die Steuerungsfähigkeit und Hoheit über globale Veränderungen zurückzugewinnen. Kein Industrie-Unternehmen kann es sich heute mehr ungestraft erlauben, einen Fluss mit dem Hinweis darauf zu verseuchen, dass es Arbeitsplätze damit schafft. Und genauso muss es unmöglich werden, den schrankenlosen Einsatz digitaler Techniken mit dem Hinweis auf den „notwendigen und alternativlosen Fortschritt“ zu rechtfertigen.

Es wird Zeit, dass jeder, der diese Technologie einsetzt, Verantwortung übernimmt  – verbindlich und transparent.

Es wird Zeit, Verantwortung zu übernehmen

Auf gesetzgeberischer Ebene ist die DSGVO in dieser Hinsicht sicherlich ein erster Schritt. Und auch, wenn einen die einzelnen Ausführungsbestimmungen als Kommunikationsschaffenden manchmal den Kopf schütteln lassen, ist die Verordnung sicherlich ein Meilenstein und ein Schritt in die richtige Richtung. Die Hoheit über die eigenen Daten ist ein Menschenrecht. Punkt.

Datenschutz ist allerdings nur ein Teilaspekt digitaler Verantwortung. Wie oben kurz angerissen sind viele andere ökologische, politische, soziale und psychologische Konsequenzen nicht weniger bedeutsam. Alle Unternehmen und staatlichen Organisationen, die mit Hilfe interner und externe digitaler Produktionsmittel, Geld verdienen, Menschen steuern und Gemeinswesen regulieren sind verantwortlich für die Resultate der Digitalisierung. An vorderster Front sind das die großen Technologiekonzerne und Berater. Letztlich betrifft dies aber fast jedes Unternehmen und jede Organisation, egal in welchem Sektor es tätig ist. Auch Handelskonzerne, Automobilhersteller, Finanzdienstleister oder öffentliche Institutionen setzen digitale Daten und neue Technologien ein, um ihre Geschäfte zu steuern, ihre Mitarbeiter zu führen, Bürger zu informieren, Waren und Dienstleistungen zu produzieren, um Aufmerksamkeit am Marktplatz zu generieren oder Innovationen zu entwickeln. Sie alle sind Teil der skizzierten globalen Entwicklung und es ist Zeit für sie zu beweisen, dass sie das verantwortungsvoll und im Sinne aller Stakeholder tun.

Ein paar Cookie Banner und eine Datenschutzerklärung werden dafür allerdings nicht ausreichen. Es gilt, die Auskunftspflicht, die Unternehmen heute über die Verwendung persönlicher Daten haben, auszuweiten auf die gesellschaftlichen Konsequenzen, die ihr digitales Handeln hat. Und zwar kontinuierlich, als Standard und nicht nur auf Anforderung. Anders gesagt: Unternehmen und staatliche Institutionen sollten ungefragt berichten und ihr Handeln transparent machen. Dabei geht es im ersten Schritt nicht darum, bestimmte Praktiken von vorneherein zu sanktionieren. Noch wissen wir insgesamt zu wenig über das, was da auf uns zukommt. Aber Politik und Gesellschaft sollten die Chance haben, in einen informierten Dialog  mit Unternehmen und dem Staat zu treten und wo nötig Korrekturen zu verlangen und Forderungen zu formulieren. Wenn wir unsere Steuerungsfähigkeit zurückhaben wollen, muss das bisher Unbekannte transparent werden, um bewertet werden zu können.

Wir brauchen ein Corporate Digital Reporting

Deshalb schlage ich vor, dass Unternehmen und Organisationen ein umfassendes „Corporate Digital Reporting“ etablieren und auf regelmäßiger Basis veröffentlichen. Für Technologieunternehmen und öffentliche Einrichtungen sollte dies sofort verpflichtend sein, für andere Branchen zunächst freiwillig und erst nach Ablauf einer gewissen Frist ebenfalls obligatorisch. Ich denke nicht, dass wir diesem Prozess soviel Zeit zugestehen sollten, wie wir das im Bereich „Nachhaltigkeit“ erlebt haben. Von den ersten Umwelt- bis zu den verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichten vergingen Jahrzehnte. Diese Zeit haben wir - der Dynamik der Entwicklung geschuldet – sicher nicht, wenn es uns wirklich darum geht, größere Folgeschäden der Digitalisierung zu verhindern. Aber wir müssen uns natürlich der Tatsache bewusst sein, dass für die Erfassung der notwendigen Informationen noch keine Tools, Routinen und Prozesse bestehen. Es wird dauern, das notwendige Prozedere und die branchenrelevanten Frameworks zu etablieren. Allerdings zeichnen sich schon jetzt mögliche Berichtsdimensionen und Inhalte ab, die es zu berücksichtigen gälte und die gar nicht so stark von denen existierender Reporting-Frameworks abweichen:

  • Ökonomie: Wie viel Geld verdient das Unternehmen mit dem Einsatz von Daten? Direkt oder indirekt? Auf welche Art und Weise? Ob und wie werden die ursprünglichen Besitzer dieser Daten daran beteiligt?
  • Soziales: Werden die Daten verantwortungsvoll erhoben und eingesetzt? Wie ist die Lieferkette? Sind eingekaufte Daten ebenfalls verantwortungsvoll erhoben? Werden Datenschutzgesetze beachtet? Wie und unter welchen Bedingungen wird die eingesetzte Hardware hergestellt? Wie wird Compliance sichergestellt? Werden individuelle und soziale Auswirkungen des Einsatzes von z.B. digitalen Marketingbemühungen berücksichtigt? Wie werden die gesellschaftlich negativen Folgen des eigenen Handelns beschränkt? Welche praktischen und psychologischen Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Mitarbeitenden, z.B. im Home-Office.
  • Ökologie: Wieviel Energie verbraucht die digitale Datenverarbeitung? Wo wird diese Energie eingekauft? Ist sie ökologisch verträglich oder werden schädliche Wirkungen zumindest kompensiert? Welche Hardware wird eingesetzt und wie wird ausgemusterte Hardware recycelt?

Diese Dimensionen und Inhalte lassen sich wesentlich leichter formulieren als erheben. Mir ist bewusst, dass es ein längerer Weg sein wird, bis wir uns auf KPIs, die Methoden ihrer Erhebung und Wege zur Validierung geeinigt haben – aber ich bin mir sehr sicher, dass es den Aufwand wert ist. Sustainability- und integriertes Reporting waren und sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu ökologisch und sozial orientiertem wirtschaftlichen Handeln. Berichte zur Corporate Digital Responsibility können ebenfalls helfen, die Hoheit über einen wichtigen, unvermeidbaren aber außer Kontrolle geratenen Prozess zurückzugewinnen.

Ich weiß, es klingt aufwändig und anstrengend. Aber jede Organisation, die früh genug damit beginnt und ihre Anstrengungen gut kommuniziert, wird einen Vertrauensvorschuss bei Konsumenten und Bürgern haben. Und nichts brauchen wir alle nötiger als Vertrauen. Wir werden in den nächsten Monaten mit Kooperationspartnern mal einen Modellversuch starten - und suchen Mitmacher und Frontrunner. Meldet Euch bei gerne hier oder direkt bei mir auf LinkedIn oder Twitter.