ESG in die Kapitalmarktkommunikation integrieren
von KR Redaktion | 08.11.2022 08:15:00 | 7 Minuten Lesezeit
von KR Redaktion | 08.11.2022 08:15:00 | 7 Minuten Lesezeit
Ein Gastbeitrag von Dr. Ralf Frank, Deutschland-Geschäftsführer unseres Beratungspartners sustainserv.
Wie sollten Unternehmen ESG sinn – und wirkungsvoll in den Dialog mit Investoren, Finanzanalysten und Analysten von Creditrating- und Nachhaltigkeitsratingagenturen integrieren? Diese Frage ist höchst relevant nicht nur für gelistete Unternehmen, die schon länger ESG praktizieren, sondern zunehmend auch für Unternehmen, die ein Initial Public Offering (IPO) anstreben oder neu Anleihen am Kapitalmarkt begeben möchten.
Eine strikte Beibehaltung der Trennung der Financials- und Non-Financials-Berichtswelten ist weder zeitge-mäß, noch entspricht sie den sich abzeichnenden Anforderungen regulativer Rahmenwerke.
Zielgruppe der Kapitalmarktkommunikation sind Investoren, Finanzanalysten und Ratinganalysten, kurz: Investment Professionals. Investment Professionals müssen Unternehmen schnell beurteilen. Das setzt voraus, dass sie mit Informationen ökonomisch, d. h. sparsam umgehen und nur solche Informationen auswählen, die eine hohe diagnostische Relevanz für die Beurteilung der erwarteten Qualität der zukünftigen Performance der Investition haben. Entscheidend für die Performance ist nicht nur der Finanzerfolg, sondern zunehmend auch die ESG-Leistung – und, anspruchsvoll aber auch besonders wichtig, der Zusammenhang zwischen diesen beiden Erfolgsdimensionen. Schnell müssen Investment Professionals noch dazu sein, denn Kapitalmärkte sind dynamisch. Zudem konzentrieren sich diese Zielgruppen nicht nur auf fundamentale Informationen, sondern sie orientieren sich auch strategisch, d. h. sie verstehen, wie an dere Marktteilnehmer über das Unternehmen und seine Zukunftschancen denken. Daraus leiten Investment Professionals ab, wie andere Marktteilnehmer einschätzen, was der Markt über das Unternehmen denkt. Dazu brauchen Investment Professionals relevante Daten, aber auch Informationen zu qualitativen Inhalten und Zusammenhängen – und diese konzis, prägnant und rasch verfügbar.
Investoren müssen schnell urteilen, deshalb gehen sie mit Informationen ökonomisch, d. h. sparsam um.
Investoren stehen unter dem Druck, sich „schneller als der Markt“ entscheiden zu müssen. Sie sind daher gezwungen, Berichte und Analysen kursorisch zu lesen und sich über Datenterminals mit fundamentalen Unternehmensdaten, auch ESG-Daten, zu versorgen. Dass Investoren und Finanzanalysten Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte von vorne bis hinten lesen, ist eine Fehleinschätzung, der auch der Gesetzgeber und Standardisierungsinstitutionen aufsitzen.
Für die komplette Lektüre der Berichte fehlt die Zeit. Stattdessen selektieren Investoren Informationen nach ihrem diagnostischen Wert.
Investoren sind jedoch immer auf der Suche nach „Alpha“, Kapitalmarkt-Idiom für Ertrag, um sicherzustellen, dass die Rendite ihrer Portfolien besser ist als die ihrer Benchmarks. Abseits von Methoden der fundamentalen Finanzanalyse rezipieren Investoren aktiv auch nicht-finanzielle Informationen. Forschungsarbeiten belegen, dass Investoren offen sind für nicht-finanzielle Informationen
z. B. ESG, wenn sie eine „Story“ erzählen oder in Formaten angeboten werden, die schneller zu konsumieren sind als „financial statements“ oder lange Texte.
Die Equity Story ist der rote Faden, der durch alle Veröffentlichungen des Unternehmens läuft. Die Equity Story ist „die Geschichte der Errungenschaften eines Unternehmens und des Investitionspotenzials seiner Aktien, die vermittelt wird, um einen Eindruck von seiner Fähigkeit zu vermitteln, in Zukunft erfolgreich zu sein“1. Ganz konkret spricht die Equity Story also über unternehmensspezifische Erfolgsfaktoren, über die Strategie des Unternehmens, seine Branche, seinen Wettbewerb, aber auch über strategische Herausforderungen der Branche und wie das Unternehmen diesen Herausforderungen begegnet.
Werfen Sie doch einmal einen Blick auf ein Kammann Rossi Projekt im Bereich Nachhaltigkeit - z.B. den ARAG Nachhaltigkeitsbericht.
Investoren sind offen für nicht-finanzielle Informationen, z. B. ESG, wenn sie in Formaten angeboten werden, die auf den Adressaten und seine Motive abzielen, die eine „Story“ erzählen und schneller zu konsumieren sind als „financial statements“ oder lange Texte.
Investor Relations -Textbücher empfehlen häufig, einen Passus über ESG in die Equity Story aufzunehmen. Doch das genügt nicht. Es geht vielmehr um eine glaubwürdige Darstellung und Einbettung von ESG in die Kapitalmarktkommunikation. Bei Sustainserv erarbeiten wir mit unseren Klienten Konzepte, die ihnen dabei helfen, ESG-Strategien in ihre Equity Story einzubetten.
Nachhaltigkeitsziele und -maßnahmen können beispielsweise in der Steuerung des Unternehmens, in den „checks and balances“ verankert sein. Oder das Unternehmen kann erläutern, inwiefern einzelne ESG-Aspekte Optionen und Chancen für kommerzielle Strategieoptionen aufzeigen. Man kann und sollte außerdem darstellen, inwiefern ESG-Risiken im Risikomanagement des Unternehmens antizipiert und gemanagt werden.
Es reicht nicht aus, wie zunehmend in Investor Relations-Textbüchern empfohlen wird, einen Passus über ESG in die Equity Story aufzunehmen. Es geht vielmehr darum, die Einbettung von ESG in die Kapitalmarktkommunikation glaubwürdig darzustellen.
Die Herausforderung bei der Integration von ESG in die Equity Story besteht allerdings darin, dass die Equity Story auf einem ökonomischen Narrativ beruht. Das bedeutet, materielle ESG-Themen müssen ökonomisch plausibel sein, um für Investoren, die wie Käufer oder Konsumenten agieren, Wirkung zu entfalten. Wird ein ESG-Aspekt strategisch in die Equity Story eingewoben, muss sich daraus ein Alleinstellungsmerkmal ableiten lassen, das sich positiv auf die Marktposition auswirkt und die Zukunftschancen verbessert. Es genügt also nicht, beispielsweise auf die Reduzierung von Abfall in der Produktion hinzuweisen, auch wenn dieser Aspekt aus einer ethischen und gesellschaftlichen Perspektive gut, richtig und lobenswert sein mag. Aus Investorenperspektive handelt es sich hierbei aber um einen zu vernachlässigenden Hygienefaktor — es sei denn, das Unternehmen könnte daraus strategisch einen Marktvorteil entwickeln.
Die Herausforderung besteht darin, dass die Equity Story auf einem ökonomischen Narrativ beruht. Daraus folgt, dass materielle ESG-Themen ökonomisch plausibilisiert werden müssen, um Wirkung zu entfalten.
Ein zweites und gerne unterschätztes Instrument in der Kapitalmarktkommunikation ist die sogenannte Analyst Presentation.
Die Analyst Presentation vereint Teile der Equity Story und des Finanzberichts. Sie ist detaillierter als eine reine Equity Story, aber bei Weitem nicht so umfangreich wie ein Geschäftsbericht. Analystenpräsentationen dienen oft als ergänzende Informationen im Rahmen von Telefonkonferenzen, z. B. wenn Unternehmen vierteljährlich Bericht erstatten. Investoren verwenden sie oft, wenn sie ein Unternehmen schnell nach prägnanten Leistungsdaten durchsuchen („Was gibt es Neues bei Unternehmen XYZ?"). Generelle Gestaltungshinweise für Analyst Presentations, an denen sich auch die Darstellungen von ESG orientieren sollten, finden sich in den „Guideline Analyst Presentations“ der DVFA2.
Warum arbeitet Sustainserv mit Unternehmen an der Einbettung von ESG in Analyst Presentations? Es geht um Glaubwürdigkeit. Wenn manifeste ESG-Risiken, z. B. transitorische Klimarisiken, wie sich änderndes Kaufverhalten von Kunden oder regulatorische Interventionen wie etwa eine Carbon-Steuer, nur im TCFD-Bericht auftauchen, nicht aber in der Analystenpräsentation, stellt man sich als Investor die Frage, wie groß die ESG-Überzeugung des Unternehmens wirklich ist. Man wird auch stutzig, wenn Green Turnover und Green CapEx ausschließlich im Rahmen von Taxonomieberichten auftauchen, das Unternehmen das Potenzial dieser Kennzahlen, ESG-Performance und Investitionen in ESG aber nicht dazu nutzt, seine Strategie umzusetzen und darzustellen.
Die Herausforderung bei der Einbettung von ESG in Analyst Presentations ist die Auswahl von Themen. Analog zur Equity Story müssen sie ökonomisch plausibilisiert werden und das Zielpublikum ansprechen. Man kann zwar davon ausgehen, dass die Leserinnen und Leser zahlenorientiert sind und Grafiken intuitiv verstehen. Aber in der Regel fehlt ihnen die Einsicht in komplexe ökologische Sachverhalte und sie haben zudem kein ausgeprägtes Interesse daran, weil sie primär auf der Suche nach guten Argumenten für ein „strong buy“ sind.
Ein drittes Vehikel zur Kommunikation von ESG in den Kapitalmarkt ist das ESG-Factbook, das exakt auf die Bedürfnisse von Nachhaltigkeitsratinganalysten zugeschnitten ist. Factbooks sind Kataloge von ESG-Daten in maschinenlesbaren Formaten z. B. Microsoft Excel, die es Nutzern ermöglichen, ESG-Daten in ihre eigenen Spreadsheets und Datenbanken zu laden. Sustainserv unterstützt Unternehmen dabei, Datenräume für die Veröffentlichung von Factbooks zu erschliessen, um die Informationsbedürfnisse von Nachhaltigkeitsratinganalysten optimal befriedigen zu können. Diese Zielgruppe wird häufig unterschätzt, dabei ist sie besonders wichtig, denn oft nutzen Investoren Daten, die von ESG-Ratingagenturen erhoben werden. Die Investoren selbst wären gar nicht imstande, die ESG-Daten aller im Anlageuniversum vertretenen Unternehmen zu verarbeiten.
Bieten Sie „datenhungrigen“ Investment Professionals ein ESG-Factbook in maschinenlesbarem Format an. Das Factbook sollte alle wesentlichen ESG-Daten in Zeitreihen und über einen längeren Zeitraum enthalten.
Wie sieht ein Arbeitsprogramm für die sorgfältige Sichtung der ESG-Praxis hinsichtlich ihrer Nutzung in der Kapitalmarktkommunikation konkret aus?
1. Prüfung der bestehenden Materialitätsmatrix: Ist sie à jour? Entspricht sie den Anforderungen von GRI nach doppelter Materialität und perspektivisch der CSRD? Falls noch keine Materialitätsanalyse vorliegt, sollte sie schnellstmöglich erstellt werden.
2. Durchsicht der Themen der Materialitätsanalyse und Definition der ökonomischen Relevanz jedes einzelnen Themas: Existieren klare „Cases“ für eine Darstellung der ökonomischen Potenz?
3. Sichtung bestehender ESG-Berichte und artverwandter Berichte wie TCFD, CDP, SASB, SBT etc. mit dem Ziel, Evidenzen für ökonomische Materialität zu heben.
4. Ausarbeitung eines Narrativs, wie ESG im Unternehmen integriert ist, in welchen Stabs- und Linienfunktionen sich ESG niederschlägt. Ziel ist es, glaubwürdig zu vermitteln, dass ESG nicht in einem „funktionalen Silo“ gelebt wird, sondern integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie und -kultur ist. Ersteres würde insinuieren, dass das Unternehmen Greenwashing betreibt.
5. Analyse der bestehenden Kapitalmarkt-Stakeholder (Investoren, Finanzanalysten, Ratinganalysten):
» Welche Investoren sind in die Aktie investiert und in welchem Ausmaß spielt ESG für sie eine Rolle? Zwischen Pensionskassen, konfessionell orientierten Investoren und Mainstreaminvestoren bestehen z. T. gravierende Unterschiede in Bezug auf Nutzung und „Appetit“ auf ESG.
» Welche Finanzanalysten z. B. von Brokern oder unabhängige Finanzanalysten covern das Unternehmen und in welchem Ausmaß sind sie an ESG interessiert?
» Welche der großen Nachhaltigkeitsratingagenturen covern das Unternehmen und welche Anforderungen haben sie? Wie lässt sich der Dialog mit ihnen forcieren?
6. Ableitung eines ESG-getriebenen, ökonomisch plausiblen und an den Bedürfnissen der unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichteten Narrativs zur Einbettung in die Kapitalmarktkommunikation
7. Sichtung der bestehenden Kapitalmarktinstrumente Equity Story und Analyst Presentation:
» Equity Story: Entscheidend sind die bisherigen Erfolge und Meilensteine des Unternehmens, seine Kernkompetenzen und was es vom Markt abhebt, Ausblick und Unternehmensstrategie auf mittlere bis lange Sicht und an welchen Stellen ESG-Aspekte zu diesen Punkten signifikante Beiträge in ökonomischer Hinsicht (Chancen, Vermeidung von Risiken) leisten
» Analyst Presentation: Bei welchen Inhalten können materielle, ökonomisch untermauerte ESG-Aspekte in ansprechender Form (z. B. grafisch) eingebaut werden? An welchen Stellen im Erzählfluss können ESG einen Mehrwert schaffen und die Überzeugungskraft der Argumente und damit die Attraktivität der Aktie erhöhen?
8. Rigorose Einbettung von ESG in die Instrumente der Kapitalmarktkommunikation, ggf. Coaching der Kommunikatoren in Bezug auf ökonomische Potenz von ESG.
Dr. Ralf Frank
Geschäftsführer sustainserv (Deutschland)
Dr. Ralf Frank ist Experte für ESG Anforderungen und Entwicklungen in der Finanzbranche. Er ist Professor für Organisationstransformation an der GISMA Hochschule in Potsdam, wo er Innovation, Digitalisierung und Verhaltenskompetenzen mit Schwerpunkt auf nachhaltigem Management lehrt.
Anmerkung: Die Originalversion dieses Beitrags wurde im September 2022 von Sustainserv veröffentlicht. Sustainserv ist ein weltweit tätiges Management- Beratungsunternehmen, das seine Kunden dabei unterstützt, Nachhaltigkeitsaspekte in ihre langfristigen Strategien, ihr Tagesgeschäft und ihre Kommunikation zu integrieren. Wenn Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet wird, kann sich dies für das Unternehmen lohnen und gleichzeitig der Umwelt und der Gesellschaft dienen. Wir wollen eine Zukunft gestalten, in der nachhaltige Wertschöpfung die Norm ist. Alles, was wir tun, ist darauf ausgerichtet, jeden Tag sinnvolle Veränderungen in der Weltanzustossen.