Seit einigen Wochen veröffentlicht Carsten Rossi einen Podcast unter dem Namen "Kammann Rossi Flashcast". Dieser Content Marketing Podcast analysiert Zahlen, Studien und Statistiken der Branche. In dieser Folge geht es um den Geschäftsbericht, die Zahl 3 und die Zahl 4 😉
Wer zum Original will, kann den Podcast hier abonnieren. Oder auf Spotify, bei Apple Podcasts, bei Google und vielen anderen Plattformen. Jetzt aber das neuste (nicht-chronologische) Transkript im Blog - zusammen mit dem O-Ton zum Gleich-Hier-Hören.
Vielleicht ein kleiner Hinweis vorab: Mir geht es nicht darum, den Geschäftsbericht als Instrument schlecht zu machen. Es gibt wirklich tolles Material weltweit und wir selber sind da ja auch sehr engagiert. Mir geht es vor allem darum ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir den Geschäftsbericht im Allgemeinen viel zu schlecht vermarkten. Besonders angesichts der Ziele, die dieser Bericht, zum Beispiel im Bereich Employer Branding, mittlerweile zugeschrieben bekommt. Deshalb lohnt es sich durchaus weiterzulesen, auch wenn der Tenor hier und da etwas „krawallig“ ist.
Die Zahlen des heutigen Tages sind die drei und die vier. Drei Minuten wird nämlich jeder Print-Geschäftsbericht gelesen und vier Seiten schaut man sich von einem Online-Geschäftsbericht an. Das halte ich für eine unglaubliche Ressourcenverschwendung. 3 & 4 - Die Zahlen zum Geschäftsbericht
Zunächst mal zu den beiden Zahlen. Woher kommen sie eigentlich? Bei den drei Minuten habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung. Diese drei Minuten sind eine Größe, die seit Ewigkeiten durch die Geschäftsberichtsagenturen und Investor-Relations-Abteilungen geht. Ich habe den Eindruck, sie ist im Allgemeinen eher eine Metapher dafür, dass allen bewusst ist, das Print-Geschäftsberichte mehr überflogen als wirklich gelesen werden. Woher die vier Seiten kommen, kann ich genau belegen. Die geschätzten Kollegen von Nexxar, einer Wiener Agentur mit Spezialisierung auf Online-Geschäftsberichte, haben 2016 eine Studie angefertigt, die die Nutzungszahlen rund um DAX-Geschäftsberichte mit Hilfe von statistischen Analysen der Online-Berichte genau ausgewertet hat.
[Die aktuelle Studie von 2017 finden Sie hier.]
Die beiden Zahlen klingen so schon nach relativ wenig, aber sie wirken ehrlich gesagt noch ärmlicher, wenn man sie ins Verhältnis zu anderen Rezeptionsgewohnheiten setzt. Drei Minuten hält sogar noch der durchschnittliche YouTube-Nutzer bei dem Versuch durch sich ein Video anzusehen. Vier Seiten schafft der durchschnittliche Besucher unseres Kammann-Rossi-Blogs. Soll heißen: viele von ihnen lesen durchaus mal vier Artikel aus einem Themenfeld, das sie interessiert.
Vollends hanebüchen wird das Projekt Geschäftsbericht jedoch, wenn man die Rezeptionsdichte (drei Minuten bzw. vier Seiten) mit dem eingesetzten Budget vergleicht. Unserer Erfahrung nach kostet ein halbwegs guter Geschäftsbericht – je nach Größe des Unternehmens und nach Imagewert, den das Ganze haben soll – zwischen 50.000 und 500.000 Euro, exklusive interner Kosten. Das sind die Kosten für Text-Erstellung, Fotografie, Konzeption, Produktion und die Distribution. Dafür bekommt man dann zum Beispiel drei Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit. Drei Minuten ungeteilte Aufmerksamkeit bekomme ich aber auch – mit etwas Strategie und einer guten Storyline – für ein YouTube-Video. Und Aufmerksamkeit für vier Seiten bekomme ich für vier Blogposts. Nun gehen Sie mal zum Leiter Unternehmenskommunikation oder zum CEO und sagen Sie, Sie möchten ein neues YouTube-Video machen, das kostet leider 250.000 Euro, aber dafür sieht ein User sich das auch drei Minuten lang an. Sie sehen, worauf ich hinaus will. Aus meiner Sicht sind die eingesetzten Ressourcen im Vergleich zu dem, was wir im Allgemeinen damit erreichen, viel zu hoch.
Die eingefleischten Geschäftsberichts-Verteidiger werden jetzt sagen, der Geschäftsbericht diene nicht nur der Kapitalmarkt-Kommunikation, sondern habe ja eine unglaublich wichtige Image-Funktion. Zum Beispiel im Employer Branding, weil sich Studenten und andere Arbeitssuchende natürlich durch den Geschäftsbericht über das Unternehmen informieren und so weiter... Da kommt aber die nächste eher deprimierende Nachricht. In der gleichen Studie hat Nexxar herausgefunden, dass die imagerelevanten Teile, der sogenannte Magazin-Teil, gerade einmal von 6,6 Prozent (Anmerkung: Im Podcast ist von 1,6% die Rede. Es sind aber 6,6%, sorry. Ich finde aber, es bleibt sehr wenig.) aller Online-Nutzer angesehen wird. Da jeder DAX-Bericht ungefähr 100.000 Nutzer im Verlaufe eines Jahres hat, sind das also 6.600 Menschen die jeweils drei Minuten insgesamt mit dem Bericht verbringen und davon einen Teil mit dem Magazin-Teil. Soll heißen: es werden 250.000 Euro ausgegeben, um 6.600 Menschen mit dem Unternehmen vertraut zu machen. Übertragen wir das nochmal auf YouTube: Sie kriegen 250.000 Euro und somit 1.600 Nutzer, die sich Ihr 3-Minuten-Video vollständig ansehen. Mit diesen Zahlen gehen Sie anschließend zu Ihrem Chef oder Ihrem CEO. Wie würde der das beurteilen? Auch hier können Sie schnell sehen, worauf ich hinaus will. Die Kosten sind für das, was wir aktuell damit erreichen, einfach zu hoch.
Mir ist bewusst, dass mein Szenario eine Milchmädchenrechnung ist. Ein Geschäftsbericht ist Pflichtdokument. Er muss veröffentlicht werden und das kostet Geld. Er sollte idealerweise auch online veröffentlicht werden, das kostet zusätzliches Geld, ist aber sehr sinnvoll angesichts der Nutzungsgewohnheiten heutzutage. Und dennoch stellt sich mir schlicht und einfach die Frage, warum wir einerseits so viel Geld für den Grundbericht ausgeben und dann nicht noch ein bisschen zusätzliches Geld dafür, dass er auch wirklich gelesen wird. Denn wenn wir uns anschauen, wie der Geschäftsbericht im Allgemeinen präsentiert wird, zeigt sich schnell, dass es sich um ein reines Inbound-Dokument handelt. Er ist meistens irgendwo auf der Webseite. Vielleicht ist er für einen Tag in der ersten Ebene der Navigation, dann rutscht er aber irgendwann in Ebene 2 oder 3. Er wird einmal zur Bilanz-Pressekonferenz heftig beworben. Dann gibt's auch zwei Tweets dazu, ein bisschen was auf Facebook, wenn wir Glück haben, und vielleicht ein LinkedIn-Post. Und damit hat es sich. Ab dann ist der Geschäftsbericht ein reines Referenzdokument, das man nur findet, wenn man sich wirklich für das Thema interessiert und gezielt danach sucht. Mit dieser Praxis kann der Geschäftsbericht all die zusätzlichen Funktionen, wie zum Beispiel im Bereich Employer Branding, gar nicht erfüllen. Dafür müssen wir Outbound denken.
Wo findet man denn die Zielgruppen für all die Zusatzfunktionen des Geschäftsberichts, die nicht kapitalmarktorientiert sind? Wo finde ich die Studenten? Wo finde ich potentielle Arbeitnehmer des Unternehmens? Draußen! In den sozialen Netzwerken. Das bedeutet je nach Fokus der Content-Strategie findet man sie auf Facebook, Twitter, LinkedIn. Und diese Kanäle anständig und nachhaltig zu bedienen ist das, was im Allgemeinen nicht stattfindet. Soll heißen: wir sollten eigentlich immer wieder all diese wertvollen Informationen, die wir für viel Geld erstellt haben das ganze Jahr über posten – hinausposaunen, hinauspostaunen, wie auch immer man es nennen möchte. Somit gibt es immer wieder kleine Informationseinheiten, die ja über das Jahr hinweg gültig sind, zum Beispiel tolle Fotos, tolle Stories, tolle Zitate von Kunden, Mitarbeitern und den CEOs. Man kann sogar hingehen und kann alle Inhalte des fertig auditierten Geschäftsberichts an anderer Stelle publizieren.
Warum macht man daraus nicht einen LinkedIn-Artikel? Gerade für die Jobsuche und im Bereich B2B-Kommunikation ist LinkedIn das Medium. Man muss nicht nur dafür sorgen, dass möglichst viele Leute auf die eigene Seite kommen, sondern vor allem, dass man genügend Audience hat, also genügend Menschen, die die Inhalte tatsächlich lesen. Warum also nicht hingehen, das Ganze zerstückeln und auch an diversen weiteren Stellen publizieren? Das heißt natürlich, dass mein Bericht so gestaltet und mein Storytelling so funktionieren muss, dass ich einzelne Einheiten herauslösen und an anderer Stelle veröffentlichen kann. Wenn man dann zusammenrechnet, was einerseits zu Beginn des Geschäftsberichtszyklus auf der Unternehmenswebsite veröffentlicht wird plus die vielen weiteren Informationen, die man im Laufe des Jahres an anderer Stelle veröffentliche – es gibt dafür den schönen Begriff MIU (Minimum Information Unit) – dann wird das Budget schon eher sinnvoll eingesetzt und genutzt. Aus meiner Sicht macht es dann auch keinen großen Unterschied mehr, noch 10.000 oder 20.000 Euro draufzulegen, wenn man dafür eine anständige Social-Media-Strategie und ein automatisiertes Publishing-Tool bekommt. Vor allem, wenn ich damit das gewünschte Ergebnis erziele und wirklich Menschen für mein Unternehmen begeistere, das Image des Unternehmens aufpolieren kann und an motivierte Bewerber komme.
Letztendlich braucht jeder Geschäftsbericht eine anständige Content-Strategie, die zuerst nach dem Nutzen und den Zielgruppen fragt. Daher sollte sich jeder Verantwortliche folgendes überlegen: will ich reine Kapitalmarkt-Kommunikation betreiben? Wenn ja, dann ist es ausreichend, wenn man sachlich und möglichst nutzwertig mit vielen Zahlen, Infografiken, etc. informiert. Dann braucht es auch keine hohen Nutzerdaten, da eine kurze Verweildauer im Allgemeinen darauf schließen lässt, dass sie schnell finden, wonach sie gesucht haben. Dann braucht es aber garantiert keine 500.000 Euro. Das würde mich wirklich sehr wundern.
Wenn die Content-Strategie allerdings zeigt, dass man alle Zusatzfunktionen wie Image-Darstellung und Employer-Branding-Funktionen möchte und man sich deshalb gutes Storytelling mit Text, kurzen Videos, etc. leistet, braucht es auch eine anständige Distributions-Strategie, die eben auch Outbound funktioniert.
Das bedeutet, wenn man schon 500.000 Euro für einen Geschäftsbericht ausgibt, dann sollte man auch den Rest des Jahres mit den Inhalten arbeiten, die mühsam und für viel Geld erstellt worden sind. Ansonsten ist es, wie der Titel schon sagt, einfach Ressourcenverschwendung.
So, das war es heute mal zum Thema Geschäftsberichte.
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