Die Antwort in Kürze: Natürlich hat dieses Format eine Zukunft. Aber nur dann, wenn Ihre Ziel-Persona Johannes Journalist heißt. Und Sie werden in Zukunft eine Menge dazulernen müssen.
Ich lehre Social Media und Content Marketing im Masterstudiengang Corporate Communications an einer Hochschule in Köln. Und führe dort einen Guerrilla-Krieg gegen die meines Erachtens übergroße Bedeutung der Pressemitteilung im Curriculum. Denn mit dem langsamen Verschwinden des Journalisten als Kernzielgruppe der Unternehmenskommunikation erweitert sich auch die Zahl der Formate, die es zu beherrschen gilt. Eine übergroße Fixierung auf die „PM“ oder „PI“ nimmt den Studenten die Zeit, sich diese neuen Fähigkeiten anzueignen.
Der Tanz ums Goldene Medium
Die Pressemitteilung, wie wir sie kennen, ist ein stark kodifiziertes Instrument im Rahmen einer Prozess-Choreographie, die darauf abgestimmt war, ein Unternehmen oder einen Manager mit Hilfe von Journalisten „in die Medien“ zu bekommen. Oder sie aus deren Schusslinie herauszubekommen. Oder deren Berichterstattung in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Was immer das Ziel war, der starken Fokussierung auf die Pressemitteilung liegt eine Prämisse zugrunde, die kennzeichnend war für die Kommunikationsarbeit der letzten 30 Jahre: Wer die Öffentlichkeit beeinflussen will, kann dies nur mit Hilfe des Gatekeepers Journalist tun. Ihm gilt es zu gefallen, sein Wohlwollen zu erringen, um in die Medien zu kommen, die die Welt beherrschen.
Presse-Konferenzen, Journalisten-Reisen und ähnliche Praktiken ähnelten häufig dem Tanz ums Goldene Kalb. Nicht die Öffentlichkeit war Gott, der Journalist war’s.
Statt Gold nur Messing
Nun, diese Medien haben eine zunehmend geringere Interpretationsmacht. Weil immer weniger sie lesen. Besonders deutlich wird dies an den Tageszeitungen, deren Auflagen dem Gesetz des Steins folgen: sie befinden sich im freien Fall.
Die Situation der Wirtschafts- und Fachpresse ist nicht ganz so dramatisch. Allerdings sind sie weit von den goldenen Zeiten entfernt. Märkte und Auflagen konsolidieren sich auf niedrigem Niveau.
Wenn man sich diese Zahlen vor Augen führt und ein rational denkender Kommunikator ist, erübrigen sich eine Menge ideologischer Diskussionen. Eine Zielgruppe, deren Bedeutung schwindet, braucht weniger Aufmerksamkeit. Der Lack ist ab. Wer tanzt schon um Messing.
Du sollst keine anderen Formate neben mir haben.
Und dennoch sind Pressemitteilung schwer totzukriegen. Mit nahezu religiösem Eifer werden sie weiter verfasst. Das hat zwei Gründe.
Zum einen dient und diente sie – ich korrigiere mich – eben nicht nur der Überzeugung von Journalisten. Sondern immer auch der Selbstvergewisserung und dem Narzissmus des herausgebenden Unternehmens. Wer schon einmal an der Erstellung einer wichtigen Presseinformation mitgearbeitet hat, weiß um die Eitelkeiten und Wortklaubereien, die ihren Entstehungsprozess so unerquicklich und das Ergebnis so ungenießbar machen.
Die Innenwirkung einer Pressemitteilung übersteigt ihre Außenwirkung (nicht erst heute) häufig um ein vielfaches. Sie ist ein Instrument der Macht und schon deshalb nur schwer abzuschaffen.
Viel schlimmer ist aber ihre nachhaltig toxische Stilistik, die weit entfernt ist von den Bedürfnissen all jener Personas, die nicht Johannes Journalist heißen, sondern Karla Kunde, Erwin Entscheider oder – Gott Bewahre – Bert Blogger. Keinen von denen, wenn er oder sie nicht gerade mit einem Fax großgeworden ist, wird eine Pressemitteilung überzeugen, sich näher mit dem Unternehmen und seinen Botschaften näher auseinanderzusetzen. Denn sie vernachlässigt in schönster Regelmäßigkeit die wichtigsten Gebote modernen Schreibens für digitale Medien.
- Die Headlines sind häufig amtlichen Verlautbarungen ähnlich, um Diplomatie bemüht, nicht Interesse.
- Der Text ist eine Wüste ohne Oase. Es gibt zu wenige Subheadlines. Die Absätze sind zu lang.
- Die akzeptiert Stilistik bevorzugt Nominal- und Passivkonstruktionen.
- Bilder existieren selten und wenn, dann eher als dokumentarisches Zusatzmaterial.
- Ein Spannungsbogen existiert nicht.
- Auch keine Geschichte.
- Und wer sie nicht sucht, wird sie nicht finden, denn die Stichworte stammen vom Vorstand und nicht von SEO Experten.
Die falschen Gebote
Mit diesen Eigenschaften macht die Presseinformation aber eigentlich alles falsch. Verletzt jede Regel guten Content Marketings.
Sie ist nicht relevanz- sondern auftragsgetrieben, sie codiert, wo sie transparent sein sollte und sie redet über das Unternehmen, ohne die Bedürfnisse der Leser (oder der Suchmaschine) zu berücksichtigen.
Und dennoch glauben viele Verantwortliche noch immer, sie sei die hohe Schule. Und übertragen ihre Eigenschaften auf Texte für Websites, Online-Magazine oder sogar Blogs. Gelernt ist gelernt, Bewährtes bleibt, alte Hasen brauchen keine neue Tricks. Und Leser schon gar nicht.
Es mag Fälle geben, in denen sie angebracht ist. Wenn Regulierungsbehören sie fordern und wenn Journalisten sie verstehen.
Aber ihre große Zeit ist zu Ende. Die Pressemitteilung alten Stils ist das Gegenteil dessen, was wir im Content Marketing benötigen. Weil dort der Adressat wichtiger ist als der Absender, das Draußen bedeutender als das Drinnen.
Deshalb sollten wir ihr – weder im Studium noch in der Praxis – allzuviel Aufmerksamkeit widmen. An ihrer Stelle gibt es so viel Neues, Aufregendes und vor allem Nützliches zu schreiben. Echte Stories zum Beispiel. Reportagen. Blog-Posts. Listicles. Multimedia-Features. Video-Skripte. Alles Formate, die uns beim „Marketing für unseren Content“ bessere Dienste leisten können, als die PM.
Weil es Menschen gibt, die diese Inhalte lesen wollen. Und nicht nur solche, die sie schreiben.