Serie über Digitales Storytelling: Warum es wirkt!
von Carsten Rossi | 21.09.2015 17:23:56 | 5 Minuten Lesezeit
von Carsten Rossi | 21.09.2015 17:23:56 | 5 Minuten Lesezeit
Weil wir lieber glauben als wissen. Weil Geschichten selbst dann Sinn stiften und Orientierung geben, wenn sie unvollständig, dafür aber gut erzählt sind. Dieser Blogpost erläutert die Hintergründe und ihre Bedeutung für Kommunikatoren und Marketer.
Kommunikation, insbesondere als Unternehmenskommunikation oder Marketing, hat eine einfache Aufgabe: sie soll Verhalten so beeinflussen, dass beim Absenderunternehmen positive ökonomische Konsequenzen entstehen. Aus diesem Grund beginne ich meine Serie zum Storytelling mit einem Exkurs in die Verhaltensökonomie. Denn dort gibt es einige interessante Fakten, die uns bewusst sein müssen, um gute Arbeit zu leisten. Und um gute Geschichten zu erzählen. Beziehungsweise, um mit dem Erzählen zu beginnen.
Seit William James wissen wir: jeder Mensch denkt doppelt. Oder anders gesagt: er verfügt über zwei unterschiedliche Denk-Systeme. Es gibt das implizite Denken und das explizite, das assoziative bzw. intuitive und das rationale bzw. logische Denken. Es gibt, wie es der Nobelpreisträger Daniel Kahneman sehr lapidar nennt: System 1 und System 2.
Unser System 1 ist für schnelle Eindrücke und spontane Gefühle zuständig. Es schätzt ein, es steuert unsere Gefühle, es hilft uns Menschen und Dinge und soziale Situationen einzuschätzen, Ekel oder Freude zu empfinden, einfache oder oft gehörte Sätze spontan zu vervollständigen. Es ist intuitiv und liebt Stereotype. Es hilft uns zu überleben.
System 2 kann mehr. System 2 kann Kausalketten konstruieren, Gedanken ordnen, Statistik verstehen. System 2 kann schwierige Probleme lösen und wissenschaftliche Aufgaben erledigen. Konstruieren und Innovationen hervorbringen. Es hilft uns weiter zu denken.
System 1 arbeitet automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung.
System 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten, die auf sie angewiesen sind, darunter auch komplexe Berechnungen.
(Schnelles Denken, Langsames Denken; D. Kahneman; Siedler Verlag 2012)
Im Allgemeinen denken wir alle, dass System 2 uns definiert. Aber es gibt ein Problem: System 1 ist viel schneller als System 2 (weswegen Kahnemann auch von schnellem und langsamem Denken spricht). Und so kommt es, dass wir von System 1 dominiert werden, weil es schon beurteilt hat, bevor System 2 überhaupt in Aktion getreten ist.
In System 1 entstehen spontan die Eindrücke und Gefühle, die die Hauptquellen der expliziten Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind.
Häufig genug schalten wir deshalb unser logisches Denken gar nicht erst an. Wir vertrauen blind unserer Intuition Und sind als Denker letztlich ziemlich faul.
Hier beginnt die Arbeit der Berufskommunikatoren. Denn die Art, wie wir etwas erzählen, ist maßgeblich dafür verantwortlich, wie schnell und wie stark unser Publikum das Erzählte zu akzeptieren bereit ist.
In psychologischen Experimenten hat man z.B. nachgewisen, dass fett gedrucktes eher geglaubt wird als schwach gedrucktes, gereimtes eher als ungereimtes. Der Grund dafür ist, dass das (schnellere) System 1 die Eindrücke bevorzugt, die leichter eingängig sind. „Fett“ ist leichter zu lesen als „normal“, (sinnvoll) gereimt leichter verständlich als kompliziert ausgedrückt. System 1 akzeptiert nur zu gern die einfache Variante – selbst wenn diese falsch sein sollte – und lässt System 2 gar nicht mehr zum Zug kommen.
Als Kommunikatoren können wir diesen Mechanismus ausnutzen: Präsentieren wir unsere Inhalte in einer eingängigen Form, wird unser Publikum unsere Botschaften leichter verstehen und schneller akzeptieren. Ein gute (digitale) Story hat genau diese Form: sie macht mit Hilfe gelernter Strukturen und unterstützender (visueller) Formate Komplexes leicht verständlich und damit sehr eingängig. Sie spricht System 1 an und macht unsere Arbeit deshalb effektiver. Wir "kommen besser an", als wenn wir nackte Zahlen, Bleiwüsten und langweilige Pressemitteilungen präsentieren. (Zu den Strukturen und Formaten werde ich im Laufe der Serie noch mehr schreiben.)
System 1 ist dabei aber nicht nur auf „leichte Erfassbarkeit“ sondern zusätzlich noch darauf spezialisiert, aus jeder noch so spärlichen Informationsmenge eine kohärente Geschichte zu machen, die dann zur akuten Bewertung einer Situation dient:
Das Erfolgskriterium von System 1 ist die Kohärenz der Geschichte, die es erschafft. Die Menge und Qualität der Daten, auf denen die Geschichte beruht, ist weitgehend belanglos. Wenn Informationen knapp sind – was häufig der Fall ist –, fungiert System 1 als eine Maschine für »Urteilssprünge«. Betrachten wir folgendes Beispiel: »Wird Mindik eine gute Führungskraft sein? Sie ist intelligent und stark …« Ihnen fiel schnell eine Antwort ein, und diese lautete Ja. Sie wählten auf der Grundlage der sehr beschränkten Informationen, die verfügbar waren, die beste Antwort aus, aber Sie haben überstürzt geurteilt. Was, wenn die nächsten beiden Adjektive »korrupt« und »grausam« lauteten?
(Schnelles Denken, Langsames Denken; D. Kahneman; Siedler Verlag 2012)
Und hier geht die Arbeit der Berufskommunikatoren weiter. Denn es ist nicht nur wichtig, wie wir erzählen, sondern auch was wir erzählen: Präsentieren wir alle vorhandenen Fakten unterschiedslos nebeneinander oder wählen wir aus den vorliegenden Fakten die wichtigsten aus!? Langweilen wir oder setzen wir Highlights? System 1 braucht keine vollständige Information, um zu verstehen. Es braucht nur die wichtigsten. Zu viele Informationen (ohne gute Form) schaden sogar. WYSIATI nennt das Kahneman: „What you see is all there is“. System 1 macht aus allen gegebenen Fakten eine kohärente Geschichte, egal wie unvollständig sie eigentlich sein mag.
Unsere Aufgabe als Kommunikatoren ist es also nicht nur, die richtige Form zu finden, sondern auch, die wichtigsten Informationen auszuwählen und sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Auslassungen sind dabei willkommen und fördern manchmal sogar die Verständlichkeit.
Unser aller Leben besteht dank System 1 eigentlich meistens aus Geschichten. Wir vertrauen auf System 1, vertrauen unserer Intuition viel mehr als „bloßen Fakten“ und „machen uns die Welt wie sie uns gefällt“ (P. Langstrumpf). Anders gesagt:
Wir lieben das Eingängige und das Einfache. Das gut dargebotene und sinnvoll kuratierte.
Unser Denken besteht aus Geschichten, die wir uns selber erzählen. Wir sind sozusagen Geschichten. Und genau deshalb lieben wir Geschichten. Weil sie intuitiv sind und unser Leben einfacher machen.
Das ist der eigentliche Grund, warum Kommunikatoren Geschichten erzählen lernen müssen und Geschichten einsetzen sollen: sie erreichen ihre Zielgruppen einfacher und machen Ihnen das Leben leichter.
Schaffen wir eine eingängige Form und verknüpfen dabei die wichtigsten Fakten, haben wir eine gute Geschichte, die uns bei deb Zielgruppe erfolgreich macht. Weil sie System 1 anspricht und damit schnell und effektiv unsere Botschaften transportiert.
Das Meiste, was heutzutage an Kommunikation produziert wird – von der Pressemitteilung bis zum Geschäftsbericht – zielt auf System 2 ab. Es sind Fakten, Fakten, Fakten, die niemand rezipiert, weil wir System 2 nicht einschalten, wenn es nicht unbedingt sein muss. Das sollte sich ändern.
In einer Welt, die viel zu viele, ja sogar eine stetig wachsende Zahl von Fakten zur Verfügung stellt, sind Geschichten der Schlüssel zu Erfolg, der Schlüssel zu System 1 und damit den Köpfen unserer Zielgruppen.
Natürlich birgt Storytelling – gerade digitales Storytelling – auch die Gefahr der Manipulation durch bewusste Auslassung und Irreführung. Menschen sind, wie wir gesehen haben, leicht manipulierbar. Aber ich glaube jetzt mal an das Gute in uns allen. Wir werden Stories erzählen nicht erzählen, um falsches Zeugnis abzulegen, sondern um
Dazu muss man allerdings wissen, wie eine gute Geschichte überhaupt funktioniert. Zu diesem Thema gibt's morgen den nächsten Teil in dieser Serie.