Storytelling und Digitale Transformation: unser Story/CO-Framework
von Carsten Rossi | 09.01.2019 09:30:00 | 5 Minuten Lesezeit
von Carsten Rossi | 09.01.2019 09:30:00 | 5 Minuten Lesezeit
Seit einigen Wochen veröffentlicht Carsten Rossi einen Podcast unter dem Namen "Kammann Rossi Numbers". Dieser Content Marketing Podcast analysiert Zahlen, Studien und Statistiken der Branche. Mit dem neuen Jahr gibt es innerhalb unseres Podcasts auch ein neues Genre: in loser Folge veröffentlicht Carsten Rossi seine Ideen und Tipps zum Thema "Storytelling". Heute: Story/CO.
Wer zum Original will, kann den Podcast hier abonnieren. Oder auf Spotify, bei Apple Podcasts, bei Google und vielen anderen Plattformen. Jetzt aber das neuste (nicht-chronologische) Transkript im Blog - zusammen mit dem O-Ton zum Gleich-Hier-Hören.
Story/CO ist eine Bedienungsanleitung für alle Erzähler (von Marketern bis Literaten), die für ihr Storytelling die Digitale Transformation als Chance sehen, nicht als Bedrohung. Damit sie auch in Zukunft Menschen erreichen und begeistern.
Kurz zusammengefasst lautet meine These: Moderne Geschichten, die der Digitalen Transformation Rechnung tragen wollen, müssen das Publikum begleiten, müssen kontextorientiert und kooperativ funktionieren und eine physische Präsenz im Leben der Zielgruppen haben. Diese vier Grundanforderungen bestimmen auch den Namen des Konzeptes: Story/CO. "CO" steht für die vier Eckpunkte, die ich gerade erwähnt habe:
Ich spare mir den Verweis auf die üblichen Studien, denn mittlerweile wissen wir alle: unsere Nutzer haben zu wenig Zeit und sehr kurze Aufmerksamkeitszyklen. Man mag das bedauern, aber es ist eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, wenn wir erfolgreich Geschichten erzählen wollen. Offline wie online finden wir kaum noch Menschen, die mehr als fünf Minuten ununterbrochen Zeit haben, sich mit unseren Stories auseinanderzusetzen. Hinzu kommt noch, dass es kaum vorhersagbar ist, wo sie diese fünf Minuten finden. In einem technologisch mobilen Lebensstil kann das morgens im Bett sein, in der U-Bahn oder auf dem Klo. Aber egal, wenn unsere 5 Minuten gekommen sind, müssen wir sie nutzen.
Deshalb sollten wir niemanden dazu zwingen, ein Stück Papier in die Hand zu nehmen oder eine bestimmte Website aufzusuchen, um unsere Geschichte zu lesen. Wir sollten schon da sein, wo er ist, wenn er die Muße findet, sich uns zu widmen. Aus diesem Grund ist das Rückgrat eine moderne Geschichte kein langer, geschlossener Fließtext an einem festen Veröffentlichungsort mehr, sondern eine Kette von Impulsen in sozialen Netzwerken oder auf einer Messengerplattform. Denn genau diese "virtuellen Orte" suchen Menschen auf, wenn sie etwas Zeit haben. Deshalb dann müssen wir dort sein: als WhatsApp Botschaft, als Instagram Video, als Facebook Message oder Update.
Meine Empfehlung ist es (zurzeit), die zentrale Storyline mit Hilfe eines Messenger-Accounts zu erzählen: alles, was ich wissen muss, um der Geschichte zu folgen, sollte dort erzählt werden. Dort bin ich den Menschen und ihren Gewohnheiten am nächsten, habe viele mediale Möglichkeiten und kann mich sogar hier und da noch per Push und Notifications bemerkbar machen. Und für die Besorgten unter uns: auch eine Kette - anstelle einer Seite - von Texten kann ein verständliches Ganzes ergeben.
Es wird Zeit, dass wir den "allwissenden Erzähler" neu definieren. Er sollte nicht nur alles über die Geschichte wissen - sondern auch über seine Leser, Rezipienten, sein Publikum.
Das betrifft zum einen das Individuum, das ihm oder ihr oder ihnen folgt. Die erzählte Geschichte kann (nicht muss) eine andere sein, je nach Alter, Geschlecht oder Lebensphase. Solche Fakten lassen sich ermitteln, genauso wie der Name jedes Individuums, mit dem wir interagieren. Und es sollte Einfluss haben auf die Story. Wie wir sie erzählen und wo wir sie erzählen, also den Stil und die eingesetzten Medien und Plattformen.
Auch deshalb mag ich Messenger so als zentrales Medium für das Storytelling. Mit ein paar einfachen Abfragen und Entscheidungsbäumen kann ich den Boden bereiten für das bestmögliche Erzählerlebnis. Mit genügend Ressourcen können es völlig unterschiedliche Geschichten sein, die ich anbiete. Aber auch mit weniger Aufwand kann ich z.B. die Frequenz und die Textlängen anpassen, die eingesetzten Medien und ihre Dauer usw. usf.
Zum anderen, und gleichzeitig damit zusammenhängend, erzähle ich natürlich auch im Kontext von Plattformen und ihren medialen Besonderheiten. Wenn ich Lina etwas Visuelles in meiner Geschichte anbieten will, dann schicke ich sie mit einem Link in meine Instagram Story, deren exzellente multimediale Möglichkeit ich dazu nutze, um sie einen Tag, echte 24 Stunden, meiner Protagonistin erleben zu lassen - mit Fotos, mit Videos und mit Stickern. Martin hingegen schicke ich vielleicht eher auf medium.com, mit der Chance ein sehr traditionelles, geschriebenes Kapitel mit einer Lesezeit von 7 Minuten loszuwerden.
Kurzgefasst: moderne Geschichten beachten nicht nur den Kontext - den individuellen und den medialen - sondern auch die Zusammenhänge und Dynamiken zwischen diesen Kontexten.
Wenn Social Media einen Wandel bewirkt haben, dann die Erwartungshaltung des Publikums dahingehend zu verändern, dass es Einfluss nehmen kann. Hinzu kommt noch der Siegeszug der Spieleindustrie, die nicht von vorgefertigten Geschichten lebt, sondern von der Interaktion mit dem Nutzer.
Deshalb muss jede Geschichte die Möglichkeit bieten, den Handlungsverlauf durch individuelle Entscheidungen zu beeinflussen. Es gibt nicht mehr die eine Geschichte, es gibt immer mehrere. Der Rezipient ist vielleicht kein Gott, aber zumindest ein Halbgott. Wir müssen ihm Wahlmöglichkeiten lassen, um sein Engagement lebendig zu halten. Eine moderne Geschichte ist immer auch ein Spiel. Wenn Lina will, dass diese Figur stirbt, dann stirbt sie. Und wenn Martin möchte, dass die Geschichte in Manila weitergeht, dann tut sie das. Wie viel wir anbieten, ist abhängig vom Stoff und den Ressourcen. Aber ein Minimum an Kooperationsmöglichkeiten zwischen dem Publikum und dem Erzähler ist unumgänglich, wenn ich nicht langweilen will. In einer letzten Ausbaustufe entsteht eine Geschichte vielleicht sogar zu großen Teilen erst aus der Interaktion vieler Nutzer (ich nenne das mal MORPS - Massive Online Role Playing Story), aber die Realisierung solcher Konzepte ist sehr aufwändig und mir persönlich schon zu nah am Game. Ein fester Handlungsstrang, ein gewisser Rahmen bleibt für eine gute Geschichte unerlässlich. Dennoch: moderne Geschichten sind eine Kooperation aus Erzähler und Publikum.
Zusehends ist nicht mehr allein Aufmerksamkeit die wichtigste Währung des Erzählens - sondern die Möglichkeit, das Publikum echte Erfahrungen machen zu lassen. Das Publikum soll unsere Geschichten nicht nur zur Kenntnis nehmen, es soll uns wahrnehmen, uns körperlich spüren. Denn machen wir uns nichts vor: angesichts der berühmten 7000 Werbebotschaften am Tag, wird auch die beste Whatsapp Nachricht auf dem Klo allein keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Deshalb bin ich ein großer Freund davon, die Erlebnis-Möglichkeiten moderner Technik auch auszureizen, im Kleinen wie im Großen. Das mag mit einer Vibration der Smartwach beginnen, um einen wichtigen Moment zu unterstreichen, ein Erlebnis anzuteasern. Und es mag bei einem immersiven VR Erlebnis enden. Dazwischen finden sich viele weitere Möglichkeiten und Nuancen, die Wahrnehmung der Rezipienten im "echten Leben" zu beeinflussen. Es heißt nicht umsonst "Augmented" also "Erweiterte Realität". AR bietet viele Möglichkeiten, Trug- und Spukbilder ins Leben der Menschen zu transportieren. Je mehr Situationen und Sinne wir beeinflussen, desto bleibender wird unser Eindruck sein.
Wie gesagt, dieser Text beschreibt nur erste Gedanken. Er ist unvollständig, bleibt viele Belege und Beispiele schuldig. Es gilt hier noch viel zu recherchieren, anzufüttern und aufzufüllen. Story/CO wird immer wieder überarbeitet werden müssen, idealerweise auch mit Hilfe Ihres Feedbacks. Aber ich bin mir in einem sehr sicher: wir müssen uns als Storyteller entwickeln, um relevant zu bleiben. Es mag sein, dass gute Geschichten strukturell und inhaltlich noch immer wie vor 1000 Jahren funktionieren. Sie brauchen einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Sie benötigen Protagonisten, mit denen wir uns identifizieren können. Und Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Aber um auch in Zukunft wahrgenommen zu werden, brauchen wir eine Evolution der Geschichten-Vermittlung. Wir müssen nicht unbedingt etwas anderes erzählen, aber wir müssen anders erzählen.
Photo von Nong Vang auf Unsplash.
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