Im Jahr 2030 richtet sich die Wahl des Arbeitgebers und die Einarbeitung in einen neuen Job fast ausschließlich nach den Wünschen der Mitarbeitenden, beschreibt Andreas Molitor in seinem Beitrag „Zwischen Pitch und Purpose" im Wirtschaftsmagazin „brandeins" (Schwerpunkt Unternehmensberater 2021) die Zukunft der Arbeit. Molitor kreiert die fiktive Susan. Eine Frau mit Abschlüssen in Wirtschaft, Architektur und Yoga/Psychologie, legt in ihrem „Purpose-Manifest“, das den früheren Arbeitsvertrag ersetzt hat, großen Wert auf eine nachhaltige Unternehmenspolitik, Zeitsouveränität und genügend Top-Talente in den Teams. Ein KI-Tool präsentiert Susan jene Unternehmen, die am besten zu ihren Präferenzen passen. Was Molitor so treffend in seinem Beitrag weiter ausführt, wird in manchen Chefetagen noch nicht so richtig verstanden. Denn das Purpose-Manifest ist längst in der Realität angekommen und wer als Chef den Wert verkennt – sorry – der (hat) (ge)pennt.
Zugegeben: Management ist ein schwieriges Geschäft. Und es wird nicht leichter, wenn Unternehmen wachsen, sich transformieren und verändern – oder auf der Stelle treten. In diesem Zusammenhang ist Betriebswirtschaftslehre streng genommen organisierter Menschenverstand. Trotzdem ist das Managen von Unternehmen bisweilen ganz schön schwierig. Das merken die meisten früher oder später. Entweder wenn ihr Unternehmen nicht wächst, wie es soll. Oder wenn es gewachsen und nun plötzlich ein ganz anderes geworden ist. Dann suchen Verantwortliche schnell einen Kompass, der die Richtung vorgibt. Dabei ist dieser Kompass auch in Unternehmen immanent. „Bei Individuen, beim einzelnen Menschen, hat man traditionell eher nach dem Sinn des Lebens gefragt, denn der Mensch braucht bekanntlich keinen Zweck, um zu existieren. Er ist einfach nur da und somit frei, sein Leben mit Sinn oder einer Bestimmung zu erfüllen oder eben auch nicht. Diese Freiheit wird einem Unternehmen nicht zugesprochen, denn es ist künstlich geschaffen und verändert seine Umwelt durch den Verbrauch von Ressourcen und durch das, was es produziert", berichtet Dr. Kai Rolker, Head Group Communications bei Clariant, einem weltweit führenden Spezialchemieunternehmen. Rolker hat unter anderem Philosophie und Alte Geschichte studiert. Und er sieht auch für Clariant den Kompass als nützliches Instrument. Er nennt die Richtung, die der vorgibt „Corporate Purpose".
In der Unternehmenswelt kursiert der Begriff seit einiger Zeit. Fragt man, was darunter verstanden wird, gehen die Meinungen und Deutungen auseinander. „Der Begriff Purpose kann im Deutschen „Zweck" heißen, aber auch „Absicht", „Bestimmung", „Ziel“, „Funktion" oder „Sinn", konkretisiert Rolker. Und er behauptet, dass es als ausgemacht gilt, dass Unternehmen heute einen Purpose brauchen. Wobei wir wieder bei der fiktiven Susan sind, die 2030 ihr „Purpose-Manifest" für einen potenziellen Arbeitgeber festlegt. Denn ohne Purpose werden sich Millennials gar nicht erst bewerben. Und nicht nur das: Auch bereits Beschäftigte könnten dem Unternehmen irgendwann den Rücken kehren oder langfristig orientierte Investoren das Unternehmen meiden. Damit Unternehmen ihrer Verantwortung auch tatsächlich gerecht werden, muss klar erkennbar sein, worin die unternehmerische Verantwortung besteht und wie sich der Erfolg messen lässt. Wo liegt der unternehmerische Zweck der Existenz?
Ein Corporate Purpose beantwortet auch für Investoren die Frage nach Sinnhaftigkeit und Zweck für das eigene Dasein. Er gibt dem Unternehmen oder der Marke einen Sinn – quasi seine Daseinsberechtigung. Und ein Corporate Purpose verschafft dem Unternehmen und den Mitarbeitenden einen gemeinsamen, verbindenden Gedanken und ein Fundament, was das Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes wertvoll macht. Wie wichtig der Corporate Purpose im Unternehmenskontext ist, dass zeigt der Report des World Economics Forums (WEF) über Stakeholder Capitalism. Danach ist Purpose am Finanzmarkt fast schon ein Muss. Denn die Beschaffung von Kapital hängt immer stärker vom Umgang mit den Ansprüchen aller Stakeholder ab. In dem WEF-Report werden Metriken in vier Säulen gegliedert. Jede dieser Säulen hat einen wichtigen Einfluss auf die Fähigkeit eines Unternehmens, einen gemeinsamen und nachhaltigen Wert (Value) zu schaffen. Die Governance-Prinzipien sind eine der vier Säulen und grundlegend für ein Unternehmen bei der Festlegung von Purpose. Sie bieten einen guten Überblick über die Aktivitäten des Unternehmens, die zu einer (wohlhabenden) nachhaltigen Gesellschaft beitragen. Es verwundert also nicht, dass Purpose unter Governance als Governance-Prinzipien an erster Stelle genannt wird. Auch zahlreiche andere Studien belegen: Unternehmen mit Purpose sind erfolgreicher.
Jedoch bleibt viel Luft nach oben. Die Ergebnisse der Studie von Price Waterhouse Coppers (PwC) zeigen, dass 47 Prozent der Unternehmen kein klares Purpose-Statement haben. Lediglich 22 Prozent setzen aktuell in ihren Reportings auf eine Integration von Purpose-Statement und Unternehmensaktivitäten.
»Purpose ist eingebunden in den Zeitgeist, er kann akzeptiert werden, wenn er von Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern im Rahmen ihrer Lebenswelt und ihres Wertesystems verstanden wird.«
Kai Rolker Head Group Communications bei Clariant
Doch wie wird Purpose in der Praxis kommuniziert ? Clariant hat dazu jüngst ihr Purpose Statement veröffentlicht:
„Greater chemistry – between people and planet.“
Kai Rolker betont in einem Fachartikel der Reporting Times: Entscheidend ist der richtige Zeitpunkt. Bei Clariant war nach dem Verkauf von rund 40 Prozent der Kerngeschäfte und entsprechenden Restrukturierungen ein guter Moment für einen Neuanfang.
„Bevor man als Unternehmen Zeit und Geld in die Entwicklung eines Purpose investiert, sollten Zweck und Nutzen klar sein“, so Rolker. Es muss in erster Linie ein Verständnis im Unternehmen für die Umsetzung und natürlich die Bereitschaft für einen Purpose vorhanden sein. Ein erfolgreicher Purpose kommt aus dem Inneren einer Organisation und ist somit ehrlich, authentisch und zukunftsweisend – ganz ohne Profitgedanke. Die unternehmerischen Werte stehen genauso im Fokus wie die Individualität des Unternehmens. Ein absolutes No-Go ist ein künstlicher, aufgezwungener Purpose. Nach Rolker kommt es darauf an zu zeigen, was ist, aber auch eine Ambition zu formulieren, was sein könnte bzw. sollte. Der Corporate Purpose sollte dabei möglichst spezifisch sein für Industrien und Unternehmen und sich von Wettbewerbern abgrenzen. Weitere Informationen dazu teilt Clariant auch in seinem LinkedIn-Beitrag.
Dr. Kai Rolker
Anmerkung: Die Originalversion dieses Beitrags wurde von unserer Praktikantin Lisa Steinbrück verfasst, die bis Ende 2021 bei Kammann Rossi war. Aus administrativen Gründen wird seit 2022 Carsten Rossi als Autor genannt.