Von der Geschichte zur Erfahrung - Storytelling im Metaverse

Storytelling im Metaverse zu beschreiben ist ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen - weil es das Metaverse als solches noch gar nicht gibt. Es ist eine Vision auf der Basis aktueller technologischer Entwicklungen, die gedachte Synthese aus verschiedenen Technologieclustern, die gemeinsam etwas neues möglich machen werden.

Dieses Neue, was da entstehen soll, ist durchaus facettenreich und deshalb schwer zu definieren - aber einige Versuche gibt es dennoch. Beim BVDW e.V., in dessen Ressort "Metaverse" ich mitarbeiten darf, haben wir die folgende Beschreibung entworfen:

"Die ultimative Vision des Metaverse ist ein dezentralisiertes, interoperables, beständiges und mit allen Sinnen wahrnehmbares, digitales Ökosystem mit unbegrenzter Nutzerkapazität. Es wird sowohl in einer erweiterten (AR) als auch in einer rein virtuellen Realität (VR) mit der physischen Welt koexistieren ..."

Mark Zuckerberg macht es ein bisschen knackiger und nennt das Metaverse

"... an embodied internet where you’re in the experience, not just looking at it."

 Während Matthew Ball in seinem Buch "The Metaverse: And How It Will Revolutionize Everything" wiederum noch umfassender argumentiert als der BVDW:

"The Metaverse is a massively scaled and interoperable network of real-time rendered 3D virtual worlds which can be experienced synchronously and persistently by an effectively unlimited number of users with an individual sense of presence, and with continuity of data, such as identity, history, entitlements, objects, communications, and payments."

Welcher Definition wir im Detail nun auch folgen mögen, alle Autoren - inkl. des Schreibers dieser Zeilen - verbindet eine feste Überzeugung: Das "Metaverse" ist das nächste Internet und wird neben vielen anderen Dingen die Art und Weise, wie wir digitale Inhalte erleben in jeder Hinsicht verändern, weil es die Rezeptionsgewohnheiten, die wir bisher kennen, revolutionieren wird, indem es mehrdimensionale Immersion ("in the experience"), individuelles Erleben ("individual sense of presence") und sinnliche Erfahrungen ("mit allen Sinnen wahrnehmbares") in den Vordergrund stellt.

KR Impulswebinar Metaverse

Das digitale Storytelling wird da keine Ausnahme machen, weil es am Ende auch nur digitaler Inhalt, vermittelt über neue Kanäle mit neuen Möglichkeiten und Regeln, ist. Wer sich heute schon darauf vorbereiten oder sogar erste Versuche in den aktuellen Respräsentationsformen des Metaverse, also z.B. in Virtual oder Augmented Reality Umgebungen, starten will, sollte sich deshalb mit den folgenden drei Eigenschaften des "neuen Webs" auseinandersetzen, die einen besonderen Einfluss auf das Erzählen von Geschichten haben werden, soweit das bisher aus den oben genannten Zukunftsvisionen erkennbar ist.

Geschichten werden immersiv - und brauchen Worldbuilding

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Alle Definitionen gehen davon aus, dass das bisherige Primat der Zwei- durch eine wesentlich erleichterte Dreidimensionalität ergänzt und vielleicht sogar verdrängt werden wird. Unsere bisherigen "Leinwände" werden Platz machen müssen für "Holodecks". Durch neue Zugangsgeräte - von Brillen bis Wearables - werden wir "in" statt "vor" der Geschichte sein, mit umfangreichen Konsequenzen für das Erzählen. Wenn Menschen meine Geschichten "betreten" können, sind Auslassungen nämlich nicht mehr möglich. Ich kann nicht jemanden in eine VR-Welt transportieren und dann NICHT beschreiben, wie der Himmel über oder der Raum hinter ihm oder ihr aussehen wird. Anders gesagt: vieles von dem, was ich bisher der Fantasie der Rezipient*innen überlassen habe, muss ich nun vorher festlegen, weil es keine schwarzen Löcher geben darf, nichts Unfertiges. Ich muss die Physik meiner Erzählung beschreiben, Optik und Perspektive, Möglichkeiten von Interaktion und Fortbewegung etc.. Ein einfaches "Mensch betritt Raum" wird nicht möglich sein - weil der Raum und die Positionierung der Rezipient*innen darin zu beschreiben sind. Das gilt für Virtual mehr als für Augmented Reality, aber auch die Positionierung von digitalen Objekten in und ihre Interaktion mit der echten Welt muss genau definiert werden.

Anders gesagt: Bevor überhaupt irgendeine Handlung ablaufen kann, wird der oder die Storyteller*in umfangreiches "Worldbuilding" betreiben müssen.

Geschichten werden interaktiv - und lassen Gestaltungsfreiheit

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Der Begriff "Worldbuilding" lässt schon anklingen, dass Storytelling in Zukunft mehr vom Gaming als von der Literatur lernen muss. Wahrscheinlich wird es auch weiter "Heroe‘s Journeys" geben, aber Helden werden in Zukunft vermehrt die Rezipienten sein, die aktiv in die Geschichte eingreifen. Niemand möchte ein passives Objekt in einer Welt sein, die ihn umgibt. Das heißt nicht, dass jede Geschichte in Zukunft ein Spiel sein muss. Auch semi-interaktive Formate, bei denen Rezipienten mit beschränkten Auswahl- und Interaktionsmöglickeiten durch die Geschichte geführt werden, bleiben denkbar. Ein gutes Beispiel ist Star Wars "Vader Immortal" Projekt auf der Metaquest, in dem die Geschichte zwar einen festen Spannungsbogen und Ablauf hat, in dem ich aber diverse spielerische Möglichkeiten habe. Sogar passiv betrachtende Immersionen, wie z.B. die Geschichte "On the morning you wake" (die Nacherzählung eines nuklearen Fehlalarms auf Hawaii) werden möglich bleiben und können durchaus mitreißend sein. Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil des kommenden Metaverse aber schon heute von Plattformen wie Fortnite, Roblox oder Minecraft, gestaltet wird, ist ein Primat der Interaktion aber eine gute Wette für die Zukunft.

Anders gesagt: Handlung braucht in Zukunft eine Idee von der Gestaltungsfreiheit der Zielgruppen.

Geschichten werden sinnlich - und müssen inszeniert werden

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Ein guter Text, ein exzellenter Film kann viel auslösen. Er bringt die Rezipient*innen entsprechend ihrer emotionalen und kognitiven Leistungsfähigkeit dazu, Empfindungen und Gedanken nachzuvollziehen. Besonders verlässlich ist das allerdings nicht. Die Erfahrung ist am Ende immer nur eine vermittelte, der man sich leicht entziehen kann. In einer "virtuellen" Welt hingegen, stehen mir mehr Möglichkeiten zur Verfügung, Menschen zu binden und zu faszinieren. Die Immersion als solche blendet den Rest der Welt schon aus, aber ich habe auch über die rein visuelle 360-Grad-Erfahrung hinaus zusehends mehr Möglichkeiten, das Erlebnis umfassend zu machen. Spatial Audio z.B., also das Positionieren von Ton an jeder beliebigen Stelle des Raums, kann überraschen, erschrecken oder aufklären. Controller oder Wearables geben schon heute haptisches Feedback, die ein Erlebnis realistischer machen. Und die stetig wachsende Bildqualität der VR Devices durch immer bessere Hardware ist auf einem guten - wenn auch noch längst nicht beendeten - Weg dazu, die Metaverse-Erfahrung so realistisch wie die "echte Welt" zu machen. Das weiß jeder, der die erste Oculus Quest mit der neuen Metaquest Pro vergleicht. Um diese Möglichkeiten nutzen zu können, müssen die Storyteller*innen der Zukunft diese Möglichkeiten aber auch selber mitdenken und inszenieren. Sie müssen Ton bewusst einsetzen, Haptik vorausdenken und visuelle Hinweise geschickt positionieren, um das volle aktuelle und zukünftige Potenzial zu nutzen.

Anders gesagt: Der Storyteller wird zum Vermittler von Erlebnissen.

Zum Schluss

Es gäbe noch diverse Aspekte des Metaverse für das Storytelling zu berücksichtigen. Die von den meisten Definitionen vermutete Persistenz des Metaverse bietet zum Beispiel großartige Möglichkeiten, eigene "Story-Welten" aufzubauen, mit eigenen Regeln, wiederkehrenden Protagonisten und einer durchgängigen Optik, die mehr sein kann als eine Nacherzählung der Realität. Die Synchronität der Erfahrung durch viele Menschen zugleich wird großartige Möglichkeiten bieten, "gemeinsame Geschichten" zu inszenieren, ein soziales Erlebnis mit vielen Protagonist*innen. Aber ich denke, dass auch mit den wenigen im Detail besprochenen Punkten deutlich wird, dass sich das Handwerk des Storytellings mittelfristig - Mark Zuckerberg geht von einer steilen Entwicklungskurve für die nächsten 5-10 Jahre aus - stark verändern wird. Storyteller*innen werden - so meine Vermutung - im Metaverse weniger Erzähler als vielmehr Makler für Erlebnisse und Emotionen sein. Es ist nötig, vieles neu zu lernen, neu zu denken und zu erfinden - aber das Ergebnis kann, ja wird eine bisher nicht gekannte Wirkungsmacht sein.

Unsere Geschichten können reale Erfahrungen im Leben unseres Publikums werden.